Die Aufsichtspflicht ist für Erzieherinnen und Erzieher immer wieder ein wichtiges Thema. Vor allem wenn es um die Aufsichtspflicht im Kindergarten und der Kita geht. In diesem Beitrag erhältst du die wichtigsten Infos zum Thema Aufsichtspflicht anschaulich und einfach dargestellt. Wir schauen uns neben der Einführung auch die passenden Gesetze an und widmen uns dem Thema der Aufsichtspflichtverletzung.
Inhaltsverzeichnis
Vorab: Ich weiß, dass sich viele Fachkräfte eine einfache klare Regel wünschen mit welcher sie in jeder Situation auf der sicheren Seite hinsichtlich der Aufsichtspflicht stehen. Leider gibt es diese klare Regel nicht. Dennoch werden dir die Informationen in diesem Beitrag helfen, sodass du dich hinsichtlich des Themas Aufsichtspflicht sicherer fühlst. Sei es für die praktische Arbeit oder einfach für die anstehende Klausur.
Was ist eigentlich Aufsichtspflicht?
Die Aufsichtspflicht ist eine vom Gesetz vorgeschriebene Pflicht, bestimmte Personen zu beaufsichtigen. Im Bereich der Erziehung betrifft dies in der Regel Kinder und Jugendliche. In Deutschland gelten grundsätzlich alle minderjährigen Personen als aufsichtsbedürftig. Über die sogenannte Personensorge ist geregelt, wer die Aufsichtspflicht für eine Person übernimmt. Diese Person wird als Aufsichtsperson bezeichnet, in der Regel sind dies die Eltern.
Die Aufsichtspflicht gibt es hauptsächlich aus drei Gründen und dient dem Schutz der zu beaufsichtigen Person:
- Vermeidung vor Selbstschädigung
(also, dass sich das Kind, der Jugendliche nicht selbst schädigt) - Vermeidung vor Fremdschädigung
(also, dass das Kind, der Jugendliche keine anderen Personen schädigt) - Vermeidung vor Schädigung durch Dritte
(also, dass das Kind, der Jugendliche nicht durch andere Personen geschädigt wird)

Wer ist für die Aufsichtspflicht verantwortlich?
Die Aufsichtspflicht tragen in aller Regel die Eltern. Man spricht hier von gesetzlicher Aufsichtspflicht. Die Aufsichtspflicht kann aber auch vertraglich übertragen werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Eltern ihr Kind in den Kindergarten oder die Schule geben. Die Aufsichtspflicht für das jeweilige Kind übernehmen dann die zuständigen Erzieher und Erzieherinnen. Dann spricht man von vertraglicher Aufsichtspflicht.
Wann spricht man von einer Aufsichtspflichtverletzung?
Man spricht von einer Aufsichtspflichtverletzung, wenn die aufsichtspflichtige Personen damit hätte rechnen können (oder sogar wusste), dass ein Schaden eintritt und nichts dagegen getan hat.

Welche Gesetze sind für die Aufsichtspflicht relevant?
Die Aufsichtspflicht ist über die Personensorge im Bürgerlichen Gesetzbuch in Paragraph 1631 geregelt:
- BGB 1631§ Inhalt und Grenzen der Personensorge
Absatz 1: Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
(Quelle klicke hier)
Die Haftung hinsichtlich der Aufsichtspflicht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch in Paragraph 832 Absatz 1 geregelt:
- BGB 832§ Haftung des Aufsichtspflichtigen
Absatz 1: Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. - Absatz 2: Die gleiche Verantwortlichkeit tritt denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.
(Quelle klicke hier)
Welche Kriterien spielen bei der Aufsichtspflicht eine Rolle?
Die rechtliche Lage und die Gesetze zur Aufsichtspflicht sind sehr offen formuliert. Das ist so, weil es immer einen Ermessensspielraum geben muss, damit ein Einzelfall konkret betrachtet werden kann und es zu keiner voreiligen Schuldzuweisung kommt. Es wird benannt, dass hinsichtlich der sogenannten ordentlichen Aufsichtspflicht drei Punkte wichtig sind:
Erstens: Eine aufsichtspflichtige Person mit fachlichem Verstand und einem Verstehen der jeweiligen Umstände und Situationen.
Zweitens: Vernünftige Anforderungen und Gegebenheiten.
Drittens: Ein an den konkreten Einzelfall angepasstes Verhalten durch die pädagogische Fachkraft.

Ich finde, dass man damit nicht so wirklich viel anfangen kann. Daher habe ich weitere Kriterien und Punkte zur Aufsichtspflicht herausgesucht, welche im Zweifelsfall unter die Lupe genommen werden. Es ist daher relevant, dass pädagogische Fachkräfte diese Punkte im Blick haben:
1. Alter
Das Alter des Kindes spielt eine wichtige Rolle hinsichtlich der Aufsichtspflicht. Es ist ein großer Unterschied, ob eine pädagogische Fachkraft die Aufsicht für einen gerade zweijähriges Kindes oder für einen Anfang Sechsjährigen übernimmt. Vor allem bei jungen Kindern muss davon ausgegangen werden, dass sie viele Gefahren und die möglichen Folgen für sich und andere noch nicht richtig abschätzen können.
2. Entwicklungsstand
Das Alter spielt zwar eine wichtige Rolle, jedoch ist der Entwicklungsstand des Kindes noch wichtiger und muss beim Thema Aufsichtspflicht unbedingt berücksichtigt werden. Wir wissen, dass die Entwicklung individuell verläuft, zusätzlich kann diese durch Erkrankungen, Behinderung und Co. verzögert sein. Daher ist es wichtig, dass das Handeln hinsichtlich der Aufsichtspflicht auf den Entwicklungsstand des Kindes angepasst ist. So sollten sich pädagogische Fachkräfte beispielsweise über das Kind gut informieren und gezielt professionell Beobachtungen sammeln, dies gilt vor allem bei Neuaufnahmen von Kindern

3. Beschäftigung und Tätigkeit des Kindes
Das Handeln der pädagogischen Fachkraft hinsichtlich der Aufsichtspflicht sollte
zusätzlich auf die jeweilige Beschäftigungsart und Tätigkeit des Kindes angepasst werden. Mit Prickelnadel und Schere zu hantieren ist deutlich gefährlicher, als wenn ein Kind konzentriert ein Bild mit einem Wachsmalstift malt.
4. Konkrete Situation
Auch die jeweilige Situation in der etwas stattfindet spielt eine wesentliche Rolle. Gab es vorab einen großen Streit zwischen Kindern? Ist es generell ein Tag an dem die Kinder aufgedreht sind? Dann sollte hinsichtlich der Aufsichtspflicht etwas sensibler auf Situationen und Gegebenheiten geachtet werden. Ist die Stimmung gereizt, dann kann auch der eben erwähnte Wachsmalstift zur Waffe werden.

5. Raum und Ort
Neben den eben genannten Punkten ist der Raum und der Ort ebenfalls relevant. Spielt sich das ganze innerhalb der Einrichtung ab? Beispielsweise im Gruppenraum? Oder außerhalb? Beispielsweise auf dem Außengelände? Oder kommt es zu einem Ausflug? Dann sind noch weitere Punkte zu beachten.
6. Die Fachkraft
Die Fachkraft als Person ist bei der Aufsichtspflicht natürlich ebenfalls ein wesentlicher Punkt. Dabei spielt die Individualität als solches eine Rolle (Behinderung, körperliche Einschränkungen usw.), aber beispielsweise auch die Berufserfahrung. Natürlich sollte hier nicht verallgemeinert werden, dennoch dürfen solche Themen nicht unter den Tisch gekehrt oder ignoriert werden.

7. Zumutbarkeit der gestellten Anforderungen
Dieser Punkt knüpft an den vorherigen an. Eine pädagogische Fachkraft darf in den
gestellten Anforderungen nicht wissentlich überfordert werden. Es sollte beispielsweise bei einer körperlich eingeschränkten Fachkraft geschaut werden, ob ein Waldspaziergang hinsichtlich der Aufsichtspflicht möglich ist.
8. Gruppengröße
Es gibt keine gesetzliche oder rechtliche Regelung dahingehend, wann eine Gruppe zu groß ist und es zu einer Aufsichtspflichtverletzung kommt. Hier ist der Verweis, dass sich Einrichtungen an den Landesrichtlinien orientieren sollen. Wird die Gruppe zu groß, sollte auf risikoreiche Aktivitäten verzichtet werden und die Handlungen hinsichtlich der Aufsichtspflicht verschärft werden.
Es gibt jedoch ganz klare Empfehlungen hinsichtlich einer angemessenen Fachkraft-Kind-Relation in Kindertagesstätten. Diese kommt von der Bertelsmann Stiftung und liegt bei 1 zu 7,5. Also eine Fachkraft sollte maximal 7,5 Kinder betreuen.
Ich glaube wir wissen alle, wie die Praxis dahingehend aussieht.

Warum die Aufsichtspflicht nur eine Nebenpflicht ist
Bei all diesen Punkten könnte man jetzt natürlich denken, dass man als pädagogische Fachkraft einfach generell so ziemlich alles untersagt und verbietet, dann ist man auf der sicheren Seite, die Aufsichtspflicht ist gewährleistet und dem Kind kann nichts passieren. Das sollte natürlich nicht getan werden. Die Aufsichtspflicht wird aber viel mehr als Nebenpflicht angesehen, die natürlich auf jeden Fall gewährleistet werden muss. Aber die Vision, das Ziel und das Ergebnis der Arbeit ist ja nicht hauptsächlich, Kinder vor sämtlichen Gefahren zu schützen, das würde einfach nur zu einer Dauerüberwachung mit Verboten führen und das Kind in seiner Entwicklung extrem einschränken.

Der Hauptauftrag und die Pflicht der pädagogischen Fachkraft ist der Erziehungs- und Bildungsauftrag, dieser ist vorrangig. Es geht darum, die minderjährigen Personen zur Selbstständigkeit und Mündigkeit zu erziehen. In der frühkindlichen Bildung werden dafür Grundsteine und das Fundament gelegt, den Kindern müssen Möglichkeiten und Freiräume geboten werden um sich persönlich weiterzuentwickeln, wichtige Kompetenzen und Fähigkeiten aufzubauen und in der eigenen Entwicklung zu wachsen.
Beginn und Ende der Aufsichtspflicht
Der Beginn und das Ende der Aufsichtspflicht ist in der Regel vertraglich ganz klar geregelt. Inhalt ist meist, dass die Aufsichtspflicht für die vereinbarte Zeit nach eindeutiger Übergabe bzw. Abholung des Kindes übertragen wird. Hier ist es auch möglich, dass Dritte (also nicht die Eltern) mit aufgenommen werden und das Kind bringen oder abholen dürfen. Kritisch wird es, wenn dies nicht schriftlich vereinbart wird. Ist Beginn und Ende der Aufsichtspflicht nicht vertraglich geregelt, dann gibt es stillschweigende Regelungen, die sich meist an den eben genannten Punkten orientiert; vertraglich vereinbarte Zeit und die eindeutige Übergabe und Abholung des Kindes.

Folgen einer Aufsichtspflichtverletzung + Überlastungsanzeige
Die Aufsichtspflicht ist in ihrem Einzelfall total komplex, es gibt viele unterschiedliche Konstellationen, Eventualitäten und unendliche viele Möglichkeiten für praktische Fälle. Die Folgen einer Aufsichtspflichtverletzung können weitreichend sein, darauf gehe ich gleich etwas genauer ein.
Die Gesetzgebung gibt einen Rahmen vor, innerhalb des Rahmens gibt es aber sehr viel Spielraum, welcher vom Einzelfall und vielen vielen Kleinigkeiten und Details abhängig ist. Es ist unheimlich wichtig, dass sich pädagogische Fachkräfte mit diesem Thema auskennen, sich vor allem mit den Kriterien der Aufsichtspflicht auseinandersetzen und drohende Aufsichtspflichtverletzungen der Einrichtungsleitung und dem Träger melden.
Beispielsweise bei andauernder Überlastung, chronischer Unterbesetzung oder der Pflicht, eine Kindergartengruppe alleine zu betreuen. Ich empfehle in diesen Fällen auf jeden Fall eine Überlastungsanzeige zu schreiben und diese schriftlich einzureichen. Ich verlinke dir hier ein Video zur Anfertigung einer Überlastungsanzeige:
Es ist wirklich wichtig, dass diese eingereicht wird wenn du das Gefühl hast die Aufsichtspflicht nicht gewährleisten zu können. Kommt es zur großen Katastrophe, verspreche ich dir, dass sich keiner der Verantwortlichen mehr daran erinnern wird, dass du mehrfach im Gespräch darauf hingewiesen hast welche Umstände herrschen und es zählt dann auch nicht, dass es eine Ausnahme war, dass du alleine warst mit der Kindergruppe und so weiter. Dann zählt nur noch, dass die Aufsichtspflicht verletzt wurde, du dafür verantwortlich bist und dies rechtlich von Staatsanwaltschaft und Co. überprüft wird.

Eine Aufsichtspflichtverletzung kann eine Menge rechtlicher Folgen mit sich ziehen, vor allem wenn die pädagogische Fachkraft fahrlässig gehandelt hat. Dann kann es zu zivilrechtlichen, arbeitsrechtlichen, dienstrechtlichen und auch strafrechtlichen Folgen.
Das bedeutet, dass eine Person im wirklich schlimmsten Fall Schadensersatz zahlen muss, den Arbeitsplatz verliert und eine Haftstrafe absitzen muss. Alle Personen die den Film Kalt gesehen haben, wissen wovon ich rede. Auch wenn es ein Film ist, basiert dieser auf einer wahren Begebenheit und diese wahre Begebenheit ist schon mehrfach in Deutschland vorgekommen. Und wir sprechen hier noch nicht von den psychischen und moralischen Folgen, welche die Person ein Leben lang begleiten werden.
